Familienrecht-Serie: Das Kindeswohl als Maßstab bei Streit um elterliche Sorge – was heißt das? (Teil 3)

Ein Interview von Rechtsanwalt Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Familienrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

Streiten sich Eltern vor Gericht um die elterliche Sorge, dann ist für die Entscheidung des Gerichts das Kindeswohl erheblich. In diesem Beitrag klären Rechtsanwalt Bredereck und Fachanwalt Dineiger, was unter dem Begriff Kindeswohl zu verstehen ist.

Rechtsanwalt Bredereck: Vater und Mutter wollen nicht mehr miteinander reden. Ist es also schon Kindeswohl, einem der beiden die alleinige elterliche Sorge zu übertragen?

Fachanwalt Dineiger: Nein. Das Scheitern der Elternbeziehung bedeutet ja nicht das Scheitern der gemeinsamen Elternverantwortung. Nur wenn das scheitert, kommt überhaupt eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge in Betracht. Danach ist das Kindeswohl zu prüfen.

Rechtsanwalt Bredereck: Wirken sich denn die Schwierigkeiten zwischen den Eltern gar nicht auf das Kindeswohl aus?

Fachanwalt Dineiger: Nicht ohne weiteres. Das Gesetz verlangt von den Eltern ein Mindestmaß an Übereinstimmung in den Sorgeangelegenheiten. Das heißt also, die Eltern haben auch eine Pflicht zur Konsensfindung, wie das die Rechtsprechung formuliert.

Rechtsanwalt Bredereck: Was heißt das konkret?

Fachanwalt Dineiger: Gelegentliche Streitigkeiten oder Auseinandersetzungen müssen die Eltern hinnehmen. Die Schwierigkeiten zwischen den Eltern wirken sich nur dann auf das Kindeswohl aus, wenn es tatsächlich zu einer nachhaltigen Einigungsunfähigkeit kommt. Die Rechtsprechung verwendet hierbei die anschauliche Formel, dass sich das Kind selbst nicht als „Zankapfel“ vorkommen darf. Nur wenn die Beziehung zwischen den Eltern derart stark zerrüttet ist, dann kann es dem Kindeswohl entsprechen, die elterliche Sorge einem der Elternteile allein zu übertragen. Es reicht also nicht, dass die Eltern nicht miteinander diskutieren wollen oder sich gegenseitig beschuldigen, nicht einsichtig zu sein.

Rechtsanwalt Bredereck: Das sind also hohe Hürden; was ist sonst beim Kindeswohl zu beachten?

Fachanwalt Dineiger: Es gibt natürlich Kindeswohlaspekte, die in der Person oder im Verhalten des Kindes selbst liegen. Verweigert beispielsweise ein schon 14-jähriges Kind ständig und aus Überzeugung den Kontakt mit einem Elternteil, dann kann das ein Kindeswohlaspekt sein. Ein weiterer Aspekt kann natürlich ein schwerer Loyalitätskonflikt des Kindes sein. Fühlt sich das Kind ganz eindeutig zwischen den Eltern hin und hergerissen und leidet in dieser Konfliktsituation, dann spricht das Kind wohl eventuell für eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge.

Rechtsanwalt Bredereck: Welche weiteren Aspekte sind zu berücksichtigen?

Fachanwalt Dineiger: In der Person oder in dem Verhalten eines Elternteils liegende Gründe sind natürlich die Klassiker. Lässt sich einer der Elternteile zu wiederholten Gewaltanwendungen oder gar zum sexuellen Missbrauch des Kindes hinreißen, dann ist das natürlich ein Kindeswohlaspekt. In diesen Fällen spricht vieles für die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge. Schwierig wird die Sache auch, wenn einer der Elternteile alkoholabhängig, oder aber drogen- oder tablettenabhängig ist. Hier geht die Rechtsprechung natürlich davon aus, dass das Kindeswohl betroffen ist, da durchaus eine Gefährdungssituation für das Kind bestehen kann. Allerdings muss die Situation natürlich dann sorgfältig geprüft werden, wenn der betroffene Elternteil ernsthafte Anstrengungen unternimmt, die Erkrankungen zu bekämpfen. Gleiches gilt im übrigen auch, wenn das Kind jahrelang unter dem Einfluss dieses Elternteiles gelebt hat, ohne irgendeinen Schaden zu nehmen.

Rechtsanwalt Bredereck: Oft kommt auch das Argument, dass der andere Elternteil gar kein Interesse am Kind hat. Ist das ein stichhaltiges Argument?

Fachanwalt Dineiger: Dieses Argument ist mit Vorsicht zu genießen. Die Rechtsprechung hat sich hiermit natürlich schon beschäftigt. Es wird aber immer verlangt, dass die Situation komplett aufgeklärt wird. Die Rechtsprechung sagt hier nämlich, dass die Nichteinmischung in die Erziehung durch den anderen Elternteil auch durchaus vom Respekt für das Erziehungsmodell getragen sein kann und daher nicht Desinteresse bedeutet. Es müssen also beweisbare Tatsachen für ein echtes Desinteresse dasein, nicht nur eine Zurückhaltung, die dem anderen Elternteil vielleicht nur nicht passt.

Rechtsanwalt Bredereck: Wenn so etwas vor Gericht kommt, wie läuft so ein Verfahren?

Fachanwalt Dineiger: Derjenige, der einen solchen Antrag bei Gericht einreicht, muss natürlich auch die entsprechenden Tatsachen vortragen, die das Gericht berücksichtigen soll. In den Sorgerechtsangelegenheiten gibt es zwar die Amtsermittlung durch das Gericht und durch das Jugendamt, das ja eine Stellungnahme abgibt, mitgeteilt werden müssen die entscheidenden Tatsachen aber natürlich schon. Hierfür ist dann der Beteiligte, der den Antrag stellt, in der Verantwortung.

Rechtsanwalt Bredereck: Das heißt also, Mutter oder Vater müssen auch die unschönen Dinge preisgeben?

Fachanwalt Dineiger: Natürlich. Ein solches Verfahren ist emotional belastend. Entscheidend ist natürlich auch immer, dass diese Tatsachen sich vor Gericht als wahr und als beweisbar erweisen müssen. Aus der Erfahrung vor den Familiengerichten kann nur davor gewarnt werden, im Ärger über den früheren Partner oder gar nach einem Streit Beschuldigungen in die Welt zu setzen, die dann unwahr sind oder sich nicht beweisen lassen. Ein solches Verfahren kann sehr schnell nach hinten losgehen.

16.07.2014

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Alexander Bredereck und Fachanwalt Volker Dineiger, Berlin und Essen.

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