Bundesarbeitsgericht – Ist ein digitales Leserecht zur Vorlage von Bewerbungsunterlagen ausreichend?

Bundesarbeitsgericht - Ist ein digitales Leserecht zur Vorlage von Bewerbungsunterlagen ausreichend?

Fabian Wilden, Rechtsanwalt

Der Arbeitgeber, der den Bewerbungsprozess um eine ausgeschriebene Stelle mithilfe eines Softwareprogramms digital durchführt, genügt seiner Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat, wenn er dessen Mitgliedern für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein auf die im Programm hinterlegten Bewerbungsunterlagen bezogenes – mithilfe von zur Verfügung gestellten Laptops jederzeit nutzbares – Einsichtsrecht gewährt und die Möglichkeit besteht, Notizen anzufertigen.

(Beschluss des BAG vom 13.12.2023 – 1 ABR 28/22; Leitsatz des Gerichts)

Bei der Arbeitgeberin, einem Unternehmen der Getränkeindustrie, besteht ein Betriebsrat, dessen Mitglieder über Laptops verfügen, die sie für ihre Betriebsratstätigkeit nutzen können. Zur Personalbeschaffung („Recruiting“) wird im Betrieb eine Software genutzt, deren Nutzung in einer Rahmen-Konzernbetriebsvereinbarung geregelt ist. Die Software verwaltet dabei u.a. Stellenausschreibungen und unterhält ein internes und externes Bewerbungsportal. Externe Bewerber müssen einen Account anlegen, um an einem Bewerbungsverfahren teilnehmen zu können. Wenn Bewerbungsunterlagen in Papierform eingehen, werden diese manuell erfasst und nach Zustimmung des Bewerbenden in das Bewerbungsportal eingepflegt. Allen Mitgliedern des Betriebsrates steht ein Einsichtsrecht in sog. „Datenfelder“ der Software zu. Dort sind die persönlichen Angaben des Bewerbers, das Anschreiben, der Lebenslauf und etwaige Zeugnisse und Zertifikate hinterlegt.

Nachdem die Arbeitgeberin im Frühjahr 2021 eine Stelle ausschrieb, gingen insgesamt 33 externe Bewerbungen ein, die im Bewerbungsportal hinterlegt wurden. In der Folge bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um dessen Zustimmung zur Einstellung eines der Bewerber zum 01.10.2021. Der Aufforderung des Betriebsrates zur Übersendung der Protokolle der Bewerbungsgespräche und der Stellenbeschreibung kam die Arbeitgeberin nach. Nachdem der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert hatte, da er negative Auswirkungen auf andere Beschäftigte in Folge der Einstellung sah, bat die Arbeitgeberin erneut um Zustimmung zur Einstellung des Bewerbers. Die Einstellung sollte zum 01.11.2021 erfolgen. Diesmal stellte sie ergänzend dar, dass Auswirkungen der geplanten Einstellung auf andere Beschäftigte nicht erfolgen würden. Der Betriebsrat verweigerte, mit im Wesentlichen gleicher Begründung, auch diesbezüglich die Zustimmung.

Die Arbeitgeberin leitete daraufhin ein Zustimmungsersetzungsverfahren ein. Im Verfahren berief sich der Betriebsrat darauf, dass es, da es schon an einer ordnungsgemäßen Einleitung des Zustimmungsverfahrens fehle, keine ordnungsgemäße Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens stattgefunden habe. Er sei nicht hinreichend unterrichtet worden und ihm seien insbesondere nicht die Bewerbungsunterlagen in Papierform „vorgelegt“ worden. Vorlage bedeute, dass die Bewerbungsunterlagen zur jederzeitigen Einsichtnahme den Betriebsratsmitgliedern tatsächlich zur händischen Hinzuziehung greifbar seien. Dies werde durch eine Einsichtnahme in eine Software nicht ermöglicht.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben dem Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin stattgeben. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.

Hierbei hat das Bundesarbeitsgericht zunächst festgestellt, dass durch die erneute Bitte um Zustimmung kein neues Zustimmungsverfahren eingeleitet wurde. Dies sei nur dann anders zu betrachten, wenn die Arbeitgeberin von der ursprünglichen Einstellung vor dem erneuten Ersuchen Abstand genommen hätte. Dies war jedoch nicht der Fall, da letztlich nur das Einstellungsdatum angepasst wurde. Das Zustimmungsverfahren sei zudem auch wirksam eingeleitet worden. Die Arbeitgeberin habe dem Betriebsrat die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorgelegt. Denn dessen Mitglieder hätten über die sog. „Datenfelder“ jederzeit in die im Bewerbungsportal hinterlegten Bewerbungsunterlagen Einsicht nehmen können, die der Entscheidung der Arbeitgeberin zugrunde lagen. Er habe damit den gleichen Informationsstand wie die Arbeitgeberin gehabt, die über die Bewerbungsunterlagen auch nur in dieser Form verfügte. Zudem hätte die Möglichkeit für die Betriebsratsmitglieder bestanden, umfangreiche Notizen zu erstellen. Der Betriebsrat sei damit ausreichend informiert worden, um seine Stellungnahme, nach interner Diskussion, abgeben zu können. In einem solchen Falle sei es nicht erforderlich, dass die Arbeitgeberin zur Einleitung des Zustimmungsverfahrens und damit auch des Zustimmungsersetzungsverfahrens dem Betriebsrat nochmals alle Bewerbungsunterlagen in Papierform vorlegt. Der weiter vorgetragene Zustimmungsverweigerungsgrund der befürchteten Auswirkungen auf andere Beschäftigte sei, nach den Ergänzungen der Arbeitgeberin, nicht einschlägig. Die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates sei daher zu ersetzen.

Fazit:

Das BAG hat mit dieser Entscheidung insoweit Klarheit geschaffen, als dass Betriebsräte, die über Einsichtsmöglichkeiten verfügen, wie der Betriebsrat in diesem Verfahren, keine Übersendung von Bewerbungsunterlagen in Papierform im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Unterrichtung i.S.d. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG verlangen können. Deutlich wird aber auch, dass, sofern die Personalbeschaffung im Betrieb über eine Software stattfindet bzw. ausgestaltet ist, in der hierfür zu schaffenden Betriebsvereinbarung Regelungen zu treffen sind, die eine solche Einsicht auch tatsächlich ermöglichen. Da eine Vielzahl der auf dem Markt befindlichen Personalmanagement-Software eine solche Möglichkeit beinhalten, sollte hierauf unbedingt geachtet werden. Schließlich muss auch beachtet werden, dass alle Mitglieder des Betriebsrates im vorliegenden Fall über einen Laptop zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit verfügten. Sollte nur ein stationärer Computer oder nur ein Laptop im Gremium zur Verfügung stehen, scheint eine Übertragung der Entscheidung des BAG eher nicht geboten.

Fabian Wilden, Rechtsanwalt

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