AGB-Kontrolle bei Klageverzicht in Formularaufhebungsvertrag

Ein Beitrag von RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Bell & Windirsch, Düsseldorf

AGB-Kontrolle bei Klageverzicht in Formularaufhebungsvertrag

RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bell & Windirsch, Düsseldorf

Ein formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, die Drohung also wider-rechtlich iSd. § 123 BGB ist.

BAG, Urteil vom 12.03.2015, Az. 6 AZR 82/14

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags. Der Kläger war seit August 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Kraft vertraglicher Vereinbarung fanden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge des Einzelhandels NRW Anwendung. § 11 Abs. 10 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel NRW vom 25.07.2008 bestimmt:

„Auflösungsverträge bedürfen der Schriftform. Jede der Parteien kann eine Bedenkzeit von drei Werktagen in Anspruch nehmen. Ein Verzicht hierauf ist schriftlich zu erklären.“

Am 28.12. 2012 führten der zuständige Filialleiter und die Bezirksleiterin der Beklagten mit dem Kläger ein Personalgespräch. Sie hielten ihm vor, dass er am Vortag zwei Fertigsuppen aus dem Lagerbestand der Beklagten entnommen und verzehrt habe, ohne sie in die Liste der Personalkäufe eingetragen oder bezahlt zu haben. Sie kündigten ihm an, die Beklagte werde wegen des Diebstahls der Suppen die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklären und Strafanzeige erstatten. Zudem habe der Kläger mit einer Sperre beim Bezug von Arbeitslosengeld zu rechnen. Die angekündigten Konsequenzen könne er vermeiden, wenn er einen von der Beklagten bereits fertig vorbereiteten Aufhebungsvertrag unterzeichne. Der Kläger bestritt die Vorwürfe, unterzeichnete jedoch am Ende des etwa anderthalbstündigen Personalgesprächs den Aufhebungsvertrag. Dieser unter dem Briefkopf der Zentrale der Beklagten in U mit dem Datum 27.12.2012 erstellte Vertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

(8) „Der Arbeitnehmer verzichtet ausdrücklich auf Bedenkzeit, die Möglichkeit eines Widerrufs sowie auf weitere Hinweise der Arbeitgeberin bezüglich etwaiger arbeits-, steuer- sowie sozialversicherungsrechtlicher Konsequenzen aus diesem Aufhebungsvertrag …

(9) Die Vertragsparteien verzichten auf die Einlegung von Rechtsmitteln (Klage etc.).“

Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass Ziffer 9 des Aufhebungsvertrags eine kontrollfähige Nebenabrede enthält. Gegenleistung für die Zustimmung des Klägers zum Aufhebungsvertrag war allein der Verzicht der Beklagten auf die in Aussicht gestellte außerordentliche Kündigung und Strafanzeige. Alle weiteren Klauseln des Vertrags zu den übrigen, im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehenden noch regelungsbedürftigen Fragen unterliegen als Nebenabreden in vollem Umfang der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB.

Der Klageverzicht verwehrt dem Kläger dauerhaft das Recht, die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags gerichtlich geltend zu machen. Er kann zwar die von ihm abgegebene Willenserklärung gegenüber der Beklagten anfechten. Die Anfechtung bleibt jedoch ohne die Möglichkeit, ihre Wirksamkeit auch gerichtlich inhaltlich überprüfen lassen zu können, wirkungslos. Im Ergebnis nimmt Ziffer 9 ihm damit die Möglichkeit, den Vertrag rechtlich durchsetzbar anzufechten.

Ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers geschlossen wird, ist mit dem gesetzlichen Leitbild nur dann zu vereinbaren, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte und die Drohung deshalb nicht widerrechtlich ist. Anderenfalls benachteiligt der Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen im Sinne des § 307 Abs.1, Abs.2 Nr.1 BGB.

Erklärt der Arbeitnehmer in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, einen Klageverzicht, wird dieser Verzicht – wie die übrigen Bestimmungen des Vertrags – mit der Unterzeichnung der zweiten Vertragspartei wirksam. In einem solchen Fall, in dem der Verzicht Teil des anfechtbaren Rechtsgeschäfts ist, lassen sich die Drohung mit der Kündigung und der Klageverzicht rechtlich (und tatsächlich) letztlich nicht trennen. Auch der Verzicht ist unter dem Druck der Drohung erklärt. Das Gesetz sieht mit § 123 BGB aber eine, wie ausgeführt, auch gerichtlich durchsetzbare Möglichkeit vor, sich von der unter diesem Druck zustande gekommenen Erklärung wieder zu lösen. Dies trägt der Erkenntnis Rechnung, dass der unter dem Druck einer Drohung Handelnde aufgrund der Zwangslage keine Möglichkeit hat, sich in zumutbarer Weise selbst zu schützen Mit diesem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsgehalt ist es nicht zu vereinbaren, wenn sich der Verwender durch eine in den Aufhebungsvertrag aufgenommene Klageverzichtsklausel die Möglichkeit verschafft, Vorteile aus einer widerrechtlichen Drohung zu ziehen, ohne eine Rückabwicklung befürchten zu müssen. Einem solchen Verhalten muss die Rechtsordnung ihren Schutz versagen.

Fazit:
Anfechtung einer Willenserklärung und Widerruf einer auf den Abschluss eines Vertrags gerichteten Willenserklärung sind unterschiedliche rechtsgestaltende Erklärungen, die unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Die Anfechtung muss innerhalb der gesetzlichen Frist des § 121 bzw. § 124 BGB erfolgen. Sie bedarf eines Anfechtungsgrundes und führt gemäß § 142 Abs.1 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ex tunc. Der Widerruf unterliegt anderen Fristen, hier der Drei-Tage-Frist des § 11 Abs.10 MTV. Er bedarf keines Grundes. Die Willenserklärung ist bis zum Ablauf der tariflich eröffneten „Bedenkzeit“ nicht endgültig wirksam, sofern nicht der tariflich ebenfalls mögliche Verzicht auf den Widerruf erklärt wird. Das Widerrufsrecht nach § 11 Abs.10 MTV schiebt das endgültige Zustandekommen des Vertrags bis zum Ablauf der Bedenkzeit hinaus Wird der Widerruf nach § 11 Abs.10 MTV fristgerecht ausgeübt, wird der Aufhebungsvertrag nicht wirksam.

Wegen dieser unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Anfechtung und Widerruf genügt zur Ausübung des Widerrufs eine Erklärung nicht, die lediglich erkennen lässt, dass der Erklärende an den Vertrag nicht mehr gebunden sein will. Vielmehr muss die Erklärung hinreichend deutlich machen, dass der Vertrag gerade wegen des Widerrufs nicht gelten solle.

Arbeitnehmer sowie deren Vertretungen müssen in Fällen wie dem vorliegenden beides tun: anfechten und widerrufen!

Zuständig für Rückfragen: Rechtsanwalt Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Bell & Windirsch, Düsseldorf, bell@fachanwaeltinnen.de,
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