Revier-Oberbürgermeister mit \“Schmuddelkinder-Pathos\“

Der Solidarpakt Ost in der Ruhrgebietsdiskussion als „Soli-Nessie“

Es hat schon was vom „Ungeheuer von Loch Ness“ – das saisonale Palaver über den Solidarpakt Ost. Natürlich fällt das Solidarpakt-Palaver nicht ins Sommerloch – wie bei Nessi – sondern taucht nach jeweils politischem Gusto auf. Und im Gegensatz zu Nessi sind die Auswirkungen des Solidarpakts Ost auch wirklich gefährlich. Um es gleich vorweg zu schicken: Der gegenwärtige Solidarpakt Ost ist ungerecht. Die Förderfähigkeit hängt nämlich allein von der Himmelsrichtung und nicht von der Bedürftigkeit ab. Die Finanzierung des Solidarpakts im Ruhrgebiet durch Kreditaufnahme der Städte ist dazu ein Unding. Das was Anfang der 90er Jahre noch richtig war, war schon zum Ende der 90er nicht mehr stimmig. Schon damals hätten einige ostdeutsche Zentren mit ihren Speckgürteln nicht mehr von Solidarpakt profitieren dürfen. Erst recht nicht ab 2004 und dem Inkrafttreten des Solidarpakts2.

Doch diese Weisheit verfolgten in den vergangenen 10 Jahren viele Ruhrgebietspolitiker ohne damit schließlich erfolgreich zu sein. Da gab es auch keine parteipolitischen Präferenzen. Ob Wittke (CDU) oder Langemeyer (SPD) – alle übten sich in Anti-Solidarpakt-Rhetorik. Der Erfolg blieb in diesen Jahren aus und so wird es auch mit der publikumswirksamen Aktion mit „Schmuddelkinder-Pathos“ von Baranowski, Sierau und Co. sein. Schon jetzt positionieren sich die Bundesparteispitzen in ihrer Abwehrhaltung. Vor 2019 – wie ohnehin geplant – scheint es nichts zu werden mit einer Abschaffung der Förderkriterien nach Himmelsrichtungen.

Nur, wenn jeder weiß, dass es nichts bringt. Wem nutzt es oder für was ist diese populistische Attacke gut? Einige Medien vermuten einen Beitrag der SPD-Bürgermeister für Hannelore Kraft zum laufenden Landtagswahlkampf. Indirekt ja. Natürlich wollen sozialdemokratische Oberbürgermeister eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin unterstützen. Und natürlich will man als Sozialdemokrat in „seiner“ Stadt besonders gut abschneiden. Viel wichtiger ist allerdings die Ablenkung von eigenen Versäumnissen bei der nicht zu leugnenden desaströsen Haushaltssituation vieler Ruhrgebietsstädte. Das passt am besten zu dem geeigneten Feindbild, dem „Soli-Nessie“. Die Botschaft kommt doch an: „Wir sind gut, wir sind sparsam. Wir sparen uns kaputt. – Und das liegt nur an den perversen Leistungen für ostdeutsche Städte. Die plattieren dort inzwischen ihre Fußgängerzonen mit Marmor.“

Jenseits der bundesdeutschen Entsolidarisierung hat das alles natürlich eine Innen- und eine Außenwirkung. Manch einer im Ruhrgebiet stimmt da in den herzhaften Ruf „Ist doch richtig so!“ ein. Manch einer wird allerdings nachdenklich und stellt wie Dr. Rainer Kambeck vom RWI in Essen fest, dass es „Reihe von Versäumnissen der Kommunen im Ruhrgebiet“ gibt. So seien im Vergleich zu anderen Kommunen die Personalkosten der Städte im Ruhrgebiet viel zu hoch. Ein ganz großes Problem sei zudem das ausgeprägte Kirchturmsdenken im Ruhrgebiet. „Niemand zwingt Dortmund einen Flughafen zu betreiben, der 20 Millionen Miese macht, Bochum, auf Teufel komm raus, ein neues Konzerthaus zu bauen oder Duisburg, sich kreditfinanziert am Kauf des Energiekonzerns Steag zu beteiligen. Unverschuldete Armut und teure Großmannssucht liegen im Ruhrgebiet nah bei einander“, so resümieren die Ruhrbarone.

Auch ohne die Streitthemen Flughafen, Konzerthaus und Steag-Beteiligung abzuarbeiten bleibt die fehlende überkommunale Zusammenarbeit. In Sonntagsreden wird sie beschworen. In der Praxis findet sie kaum statt. Allein diese personalisierte Machtsicherung für Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte kostet den Steuerzahler jährlich mehre Hundertmillionen Euro. Geld das sinnvoller Weise zur Schuldenminderung oder Infrastrukturstärkung eingesetzt werden könnte. Das gleiche gilt für Beiträge und Gebühren von Verkehrsbetrieben, Stadtwerken und Ver- und Entsorgungsverbänden. Auch hier leistet sich das Ruhrgebiet eine teure Vielfalt.

Hinzu kommt die fatale Außenwirkung. Oliver Wittke ist 2004 als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen abgewählt worden, weil er – auch in der Diskussion um den Solidarpakt – Gelsenkirchen schlecht geredet hat. Die Menschen wollten das nicht. Dieses „Schlechtreden“ bezieht sich inzwischen auf das ganze Ruhrgebiet. Die deutsche und europäische Medienwelt schreibt über das „Armenhaus Europas“. Der Bundestagsvizepräsident will gar einen „Ruhrgebiets – Soli“ einführen. Welch ein Schwachsinn. „Das wäre nicht nur ein katastrophales Signal für das Ruhrgebiet, das ja kein Armenhaus, sondern eine höchst heterogene Region mit viel Potential ist. Essen etwa ist eine reiche Stadt und in Dortmund kann man viele Erfolge des Strukturwandels besichtigen,“ so R. Kambeck vom RWI. Was haben die Menschen im Ruhrgebiet nicht schon alles auf den Weg gebracht? Gibt es hier nicht fantastische Potentiale? Sie werden bedenkenlos zwischen Machtsicherung und Wahlkampf zerredet. Wer will sich denn in Zukunft für diese Region interessieren? Staatsfürsorger oder Investoren? Slum-Touristen oder Innovationsfans? Junge Menschen mit Perspektive oder Rentner und Pensionäre? Nein, Subventionsgeschrei zieht nicht die an, die das Ruhrgebiet braucht. Armenhausgerede stößt ab, schafft höchstens Mitleid. Mit Mitleid schafft man keine zukunftsfähige Infrastruktur.

Was das Ruhrgebiet braucht ist der Wille und der Mut zu Selbsthilfe. Möglichkeiten dazu gibt es genug. Die Zusammenarbeit der Ruhrgebietsstädte in verbindlichen Formen und die Aufwertung des Regionalverbandes Ruhr (RVR) zum Beispiel. Natürlich auch eine Verteilungsgerechtigkeit bei der Zuweisung der Steuergelder im Landes- und Bundesvergleich. Das aber ohne Schmuddelkinder – Pathos. Die Aktion der Bürgermeister war kein Schritt in Richtung eines starken Ruhrgebiets. Diese Aktion war ein Rückschritt.
Die Bürgerschaftliche Initiative RuhrStadt setzt sich für mehr interkommunale Zusammenarbeit im Ruhrgebiet ein. Ziel ist eine verfasste RuhrStadt.

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