ÖPNV-Finanzierung und der drohende Abschied vom Querverbund

Brüssel treibt deutschen Kämmerern die Sorgenfalten auf die Stirn

Lange Zeit waren Stadtwerke-Gewinne ein sicherer Garant, um den defizitären Öffebtlichen Personen-Nah-Verkehr (ÖPNV) zu stabilisieren. Allerdings, so schreibt Andreas Schultheis im Magazin rathausconsult (http://www.rathausconsult.de), „sprudeln die Quellen weniger ertragreich. Zudem stellt die Europäische Union den steuerlichen Querverbund in Frage.“ Konkret geht es um das so genannte 4. Eisenbahnpaket, das in der beginnenden Legislaturperiode des Europäischen Parlaments erneut behandelt werden wird. Ziel dieses Maßnahmenpaketes ist es, dass die Schienenverkehrsdienste in Europa künftig eine bessere Qualität und mehr Wahlmöglichkeiten bieten können. „Daher schlägt Brüssel vor, den gesamten inländischen Schienenpersonenverkehr für neue Marktteilnehmer und Dienste zu öffnen. Es geht dabei vor allem um Schnell- und Regionalzüge, doch auch der Nahverkehr müsste sich dem Wettbewerb stellen. So weit, so gut. Sorgenfalten treibt den Verantwortlichen in den Kommunen aber ein anderes Detail des Eisenbahnpaketes auf die Stirn, wonach die Mitfinanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) durch den kommunalen steuerlichen Querverbund ausgehebelt wird“, schreibt Schultheis in der aktuellen Ausgabe des Magazins für Kommunalwirtschaft (http://www.rathausconsult.de/images/flippingbook/rathausconsult_02_2014/rathausconsult_02_2014.html#p=42).

„Gemeinwirtschaftlicher öffentlicher Nahverkehr, der nicht an Gewinnmaximierung orientiert ist, wäre dadurch künftig so gut wie unmöglich. Wenn den Kommunen die Möglichkeit genommen würde, Verluste ihres Nahverkehrsunternehmens über Gewinne anderer kommunaler Unternehmen auszugleichen, hätte das negative Auswirkungen auf das Leistungsangebot von Bus und Bahn“, prognostiziert Jürgen Fenske, Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Der ÖPNV ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland. Deshalb gehe es nicht nur darum, den kommunalen Nahverkehr möglichst rentabel zu betreiben, sondern auch darum, „alle Bürgerinnen und Bürger daran teilhaben zu lassen und niemanden vom ÖPNV-Angebot abzuschneiden.“ Der Querverbund, so der Verband, sei erst vor kurzem in einem parteiübergreifenden Konsens in Deutschland als wichtige finanzielle Stütze der Kommunen steuerrechtlich bestätigt worden. Dies dürfe nicht durch eine europäische Regelung konterkariert werden.

Verminderte Steuerlast durch den Querverbund

Zweifellos ist die Finanzierung des ÖPNV in Deutschland ein komplexes Thema. Diverse Fördermöglichkeiten, länderspezifische Besonderheiten und Finanzierungsinstrumente tragen hierzu bei. Ein großer Teil der Erträge stammt aus Fahrgeldeinnahmen, hinzu kommen beispielsweise Tarifersatzleistungen wie Sozial-, Verbundtarif- oder Schülertickets. Auch steuerrechtliche Regelungen dienen unter dem Strich der ÖPNV-Finanzierung, so können Kommunen durch einen Querverbund des ÖPNV mit anderen kommunalen Einrichtungen wie Stadtwerken, zu denen etwa kommunale Versorgungs- oder Wohnungsbaubetriebe oder auch kommunale Bäder gehören, den Gewinn und somit die Steuerlast verringern. Das heißt: Der steuerliche Querverbund zahlt weniger, als wenn jedes Unternehmen für sich veranlagt würde. Der VDV schätzt das Volumen der für den Nahverkehr eingesetzten Versorgungsgewinne auf jährlich bis zu 1,4 Milliarden Euro.

Allerdings: Weil die Gewinne der Stadtwerke längst nicht mehr sprudeln wie gewünscht, steht die ÖPNV-Finanzierung bereits ohne Neuregelungen aus Brüssel auf tönernen Füßen und – mit Blick auf nötige Ersatzinvestitionen – vor enormen Herausforderungen: „Die Aufrechterhaltung des steuerlichen Querverbundes ist für die Finanzierung des ÖPNV essentiell notwendig. Grundsätzlich beträgt die Steuerersparnis bis zu 30 Prozent eines jeden Euro des Versorgungsgewinns. Die Abschaffung des steuerlichen Querverbundes hätte somit das Ende einer langjährigen Finanzierungspraxis im Bereich des kommunalen ÖPNV zur Folge“, warnt Uwe Bonan, Kämmerer von Mülheim an der Ruhr. Blickt er auf die seit Jahren sinkende Dividende aus den RWE-Aktien der Stadt, macht er pro Jahr eine Lücke von 30 Millionen Euro aus, die geschlossen werden will. Außerdem: „Die Preisentwicklung im ÖPNV wird nicht autonom durch die Stadt Mülheim bzw. die örtliche Verkehrsgesellschaft bestimmt, sondern einheitlich durch den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) koordiniert. Die Preisentwicklung konnte in den letzten Jahren den Kostenanstieg im ÖPNV nicht kompensieren.“ Im Ergebnis habe sich die Finanzierung des ÖPNV zunehmend verschlechtert, „so dass das derzeitige Niveau hinterfragt werden muss. Der Optimierungs- und Veränderungsdruck steigt und stellt den ÖPNV vor neue Herausforderungen.“

Schlechte Chancen für alternative Finanzierungsformen

Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Uwe Becker, Stadtkämmerer in Frankfurt am Main. Dort wird das Defizit der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) innerhalb der Stadtwerke Holding mit den – mittlerweile schrumpfenden – Gewinnen des Energieversorgers Mainova verrechnet – mit entsprechender Steuerersparnis für die Stadtwerke. Aufgrund der Prognose des Stadtwerke-Konzerns vom Frühjahr 2014 liegt die Schätzung der Jahresverluste dort aktuell zwischen 20 und 30 Millionen Euro. Alle Gesellschaften seien daher aufgefordert, sich dieser Entwicklung zu stellen – durch Kostensenkungsprogramme, reorganisatorische Maßnahmen, Überprüfung der Planungsprozesse. Die hohe Qualität der Grundversorgung des ÖPNV für die Bürger müsse bewahrt werden. Für eine wachsende Stadt wie Frankfurt sei „guter und zuverlässiger Nahverkehr unerlässlich. Jedoch muss die Frage nach den Standards von den Kommunen immer wieder gestellt werden“, gibt auch der Kämmerer der Mainmetropole zu bedenken. Wie Bonan sieht auch Becker die europäische Gesetzgebung kritisch, die ohnehin gebeutelte ÖPNV-Finanzierung würde auch in Frankfurt vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt: „Der steuerliche Querverbund ist für die Kommunen eine bedeutende finanzielle Stütze, der steuerliche Vorteil aus dem Querverbund beträgt für die kommenden Jahre voraussichtlich 30 Millionen Euro.“

Überlegungen zu alternativen Finanzierungsformen geben die beiden Kämmerer unterdessen keine Chancen. Beispiel Frankreich: Dort hat man eine Nahverkehrsabgabe eingeführt, die Unternehmen und Bürger zahlen, unabhängig davon, ob sie den ÖPNV tatsächlich nutzen. In Wien gibt es ein ähnliches Modell bereits seit 1970. Und in den USA oder Japan ist es durchaus gängige Praxis, so genannte indirekte Nutzer, also Anrainer der ÖPNV-Infrastruktur, deren Grundstückswerte sich erhöht haben oder die durch bessere Erreichbarkeit profitieren und Immobilien besser vermieten können, zu beteiligen. „Ordnungspolitisch erscheint eine zusätzliche ÖPNV-Abgabe nicht sinnvoll. Weitere derartige Belastungen dürften den Bürgern und Unternehmen kaum noch zuzumuten sein, da unter anderem der Mülheimer Haushalt seit Jahren stark defizitär ist und beispielsweise die Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer hier bereits auf einem vergleichbar hohen Niveau sind“, argumentiert Bonan. Er hält eine bedarfsgerechte Angebotsplanung im ÖPNV für unverzichtbar. Gefordert sind nach Ansicht der Kämmerer Bund und Land: Bonan sieht es etwa kritisch, dass Bund und Land zwar Neu- und Ersatzinvestitionen fördern, die Folgekosten der geförderten Investitionen – Instandhaltungsaufwendungen, zusätzliche Reinigungsleistungen, Ersatzbeschaffungen – allein von der jeweiligen Verkehrsgesellschaft bzw. der Kommune zu tragen seien. „Neben der Eigenkonsolidierung vor Ort sind Bund und Land in der Pflicht, den Kommunen eine aufgabenangemessene Finanzierung der Daseinsvorsorge zu ermöglichen.“
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